Die Klippenspringerin
- Adrian Lichtin
- 22. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 24. Apr.

Sie ist kompetent. Schnell im Denken, klar in der Analyse, beliebt bei Kundinnen, geschätzt von Vorgesetzten. Und doch hat sie in den letzten zehn Jahren fünf Positionen gewechselt. Die Lebensläufe ihrer Kolleginnen wirken wie lange gerade Linien. Ihrer – eher wie eine Abfolge mutiger Sprünge: vom einen Unternehmen ins nächste, dann wieder weiter. Nie gescheitert, nie gefeuert. Aber auch nie geblieben.
„Ich bin einfach schnell gelangweilt“, sagt sie zu Beginn unseres Coachings. Ein Satz, den sie schon oft gesagt hat. Und der immer weniger trägt. Denn diesmal ist sie müde. Nicht von der Arbeit. Sondern vom Weiterspringen.
Wir sprechen über ihre letzten Stationen. Immer wieder dieselben Muster: Anfangseuphorie, hohe Erwartungen – bei ihr und anderen. Dann erste Reibungen, feine Spannungen. Kleinigkeiten, die größer werden. Ein Gefühl, dass sie irgendwie „nicht passt“. Dass sie „anders denkt“. Dass es wieder „nicht das Richtige“ ist. - Im Coaching wird sie still. Dann kommt der Satz, der etwas aufreisst:
„Ich glaube, ich lasse mich nicht wirklich ein.“
Es ist ein Wendepunkt. Nicht laut, nicht dramatisch. Aber innerlich klirrend klar. Wir sprechen über Zugehörigkeit. Über alte Prägungen, frühe Erfahrungen. Über die feine, kaum spürbare Angst, was passieren könnte, wenn sie bleibt. Wenn sie sich wirklich zeigt. Wenn sie dazugehört. Und sie erkennt: Das Bedürfnis dazuzugehören war immer da. Aber die Angst, sich damit abhängig zu machen, war stärker. Und so hat sie – unbewusst – immer wieder Situationen geschaffen, in denen sie sich entfernen musste. Die Sprünge waren nicht nur mutig. Sie waren auch Schutz.
Die Einsicht trifft sie nicht wie ein Schlag. Eher wie ein warmer, klarer Regen: unangenehm ehrlich – aber irgendwie befreiend. Heute steht sie nicht mehr an der Klippe. Sie steht mitten im Team. Sie bleibt. Und das fühlt sich für sie wagemutiger an als jeder Sprung davor.
Reflexion
Was die Klippenspringerin im Coaching erlebt hat, ist keine Seltenheit. Unsere beruflichen Muster sind oft Ausdruck tieferer innerer Themen. Nicht jede Unzufriedenheit ist ein Zeichen für „die falsche Stelle“. Manchmal ist sie ein Hinweis auf eine unbewusste Dynamik, die wir nur auflösen können, wenn wir hinschauen – mit Mut, Ehrlichkeit und Begleitung.
Wenn du möchtest, kann ich dir beim Feinschliff helfen – oder auch an einer Serie mitwirken, wenn du mehr solcher Porträts schreiben willst. Würde super zu deinem Blogtitel „Einsichten, die zählen“ passen.